Mittwoch, 28. März 2018

Piper At The Gates Of Dawn

Von Art Siegel - https://www.flickr.com/photos/artolog/407217985, CC BY-SA 2.0,
Was passiert bei der Überfahrt vom Leben über den Tod in das Danach? Heute Abend will ich mit diesem Trostgedanken in die Nacht gehen: Du brauchst keine Angst zu haben. Du wirst freundlich empfangen. Über Piper At The Gates Of Dawn von Van Morrison.

Von Peter Otten

Diese sanfte musikalische Miniatur, das Schlusstück auf Van Morrisons 1997 erschienenen Album "The Healing Game" beschreibt eine Epiphanie, eine Gottesbegegnung zwischen "Trance und Schilf", irgendwo beim Anbruch der Dämmerung, vielleicht im Niemandsland zwischen Traum und Wirklichkeit. Epiphanien kennen wir aus der Bibel. Und sehr oft spielen sie vor der Kulisse der Natur. Mose entdeckt in der Wüste einen Dornbusch, der brennt, aber nicht verbrennt und erkennt in ihm das Prinzip des Ich-bin-Da-Gottes, der sich unendlich für immer mit der Welt verwoben hat. Er steigt nach einer anderen biblischen Überlieferung auf den Berg Tabor und empfängt dort von Gott die Gesetzestafeln. Oder denken wir an den Propheten Elija: Als er Gottes Aufforderung, aus der Höhle zu kommen, sich auf den Berg vor Gott zu stellen (was er im Übrigen dann nicht tut) erkennt er diesen nicht im vorüberziehenden Sturm und auch nicht im Erdbeben - wie er vielleicht vermutet und befürchtet hatte. Zum Schluss bleibt, wie die Bibel erzählt, ein leises sanftes Säuseln. Und als Elija das hört, hüllt er sein Gesicht in den Mantel und kann aus seiner Höhle herauskommen.

Die Natur ist also ein Medium für Gotteserfahrungen. Menschen steigen gerne auf einen Berggipfel, spüren die Ergriffenheit im Schweigen der Welt und die Erhabenheit der gewaltigen Natur. Sie blicken aufs Meer hinaus und verlieren sich in der Unendlichkeit der Wellen, dem Rhytmus von Werden und Vergehen.

In diese Tradition stellt Morrison auch diesen Text. Er schildert die Begegnung mit einem Gott. Bis Mitte der neunziger Jahre hatte der irische Musiker eine langjährige Phase einer eigenen spirituellen Suche absolviert, die sich auch in mehreren religiös getränkten Alben niederschlug. Dabei war Morrison nicht wählerisch und zeigte sogar zwischenzeitlich Sympathien für Scientology - und dieser Habitus vermochte, dass auch die geduldigsten seiner Anhänger mit den Augen rollten.

"Piper at The Gates of Dawn" bringt den Hörer unmittelbar an den Ort des Geschehens. Es ist kühl, wir befinden uns am Wasser, und in der Ferne dämmert es bereits. Es ist die Stunde zwischen Nacht und Morgen. Und wir beobachten Menschen, die ein Boot rudern, als unmittelbar Musik einsetzt. Sie kommt durch den Wind, der durch die Weiden geht und von einem Flötenspieler, von dem es später heißt, dass er zwei Hufe habe. Dieses Indiz macht klar, dass es sich um den griechischen Naturgott Pan handelt, dem die Ruderer auf dem Wasser begegnen. Vielleicht fahren sie an ihm vorbei, jedenfalls hören wir, dass sie Ehrfurcht und Ergriffenheit verspüren, während Pan seine Flöte spielt und durch sein Spiel den Boden zu einem heiligen Boden macht.


Und dann singt Morrison: "Und niemand hatte Angst vor dem großen Gott Pan." In der griechischen Mythologie heißt es, dass Pan durchaus Freude an Fröhlichkeit, Tanz und Musik haben kann. Wenn er allerdings gestört wird, kann er sauer und ungemütlich werden und neigt dazu, Herdentiere, für die er als Hirtengott verantwotlich ist in Panik auseinanderzutreiben - in Panik steht also Pan drin. Übrigens kann Morrison in Sachen Unfreundichkeit locker mit Bob Dylan und sicher auch mit Pan mithalten. Ich habe schon mehrere Konzerte von ihm gesehen, wo er grußlos von der Bühne verschwand. Den Gipfel der Publikumsignoranz erlebte ich vor Jahren bei einem Konzert in Bonn. Zu Beginn des Konzertes startete für alle sichtbar einen Coutdown von 90 Minuten. Als die Uhr dann heruntergezählt war, ging der Künstler grußlos und ohne jegliche Zugabe hinter die Kulissen. (Aber er kann auch anders, sagt man zumindest. Vielleicht ist er im August, wenn er vor dem Kölner Dom aufspielt freundlicher drauf. Sicherlich wird es so sein).

Entscheidend scheint mir jedenfalls beim neuerlichen Hören nun tatsächlich der Satz zu sein: "Und niemand hatte Angst vor dem großen Gott Pan." Ich habe das Lied von dieser Sinnspitze aus nun wieder gehört. In der Mythologie wird der Übergang von der Welt in die Unterwelt ja auch oft als Bootsfahrt geschildert, als Überfahrt vom Diesseits in eine andere Welt, eine Anderswelt. Und Menschen fragen sich ja auch immer wieder: Wie wird das sein nach dem Tod? Ein mit mir befreundeter Priester, der vor einigen Jahren leider viel zu früh starb sagte mal, er habe eigentlich keine Angst vor dem Tod. Vielleicht gehe alles wirklich gut aus. Vielleicht aber sei es wie beim Schlafen: Wenn ein Mensch tief und traumlos schlafe, vermisse er sich ja nicht. Das sei doch sehr beruhigend.

Ich habe lange über diesen Satz nachgedacht. Und ich merke bei mir, dass mein Unwohlsein vor dem Tod tatsächlich auch die Ungewissheit ist. Manchmal denke ich: Ob ich das Leben, die Freunde, die Welt, mich selbst wohl schmerzlich vermissen werde, wenn ich tot bin und nicht mehr zurück kann? Und ob der Tod somit vielleicht unglücklich macht, weil die Sehnsucht nach dem Leben ungestillt bleibt? Weil der Tod ein einziges Vermissen sein wird? Oder läge der Trost darin, im Nichts des Todes wenigstens auch nichts zu vermissen?

Es wäre vermessen, diesem Unwohlsein mit Wissen uns Überzeugung entgegenzutreten. Menschen können dem Unwohlsein aber mit Trost entgegenblicken. Es ist der Trost, der aus erfahrungsgesättigten Geschichten - oder wie heute Abend: aus erfahrungsgesättigten Liedern -  aufsteigt und in denen andere Menschen ihre Angst, aber auch ihre Hoffnung mit miteinander teilen. Mir selber ist eine Stelle aus der Offenbarung des Johannes ein gewaltiger Trost geworden. In diesem Buch spekuliert der Autor in einer Zeit der Bedrängnis, in der die ersten Christinnen und Christen unter gewaltigem Druck und Verfolgung stehen darüber, dass Bedrängung, Leiden und Tod doch nicht das letzte Wort von Gott sein kann. Und beschreibt einen neuen Himmel und eine neue Erde. Und weiter heißt es: "Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein." Gott wird mit mir und mit dir sein. Und du wirst das spüren können, denn deine Tränen werden abgewischt. Es gibt kein Leid, kein Geschrei und keinen Schmerz mehr. Beides hängt also zusammen: Wenn die Tränen abgewischt werden, ist Gott da.

Ich höre dieses Lied, das ich sicher schon hundert Mal gehört habe, bei Wiederhören heute als ein Lied über eine Gottesbegegnung auf der Überfahrt zwischen Leben und Tod und dem Danach. Hab keine Angst vor dem großen Gott.
Keine Angst vor dem großen Gott bedeutet dann auch keine Angst davor zu haben, sich selbst zu vermissen. In diesem Lied sind die Ruderer irgendwann vom Wasser ans Land gegangen. Sie sind angekommen. "Und sie standen auf der Wiese und lauschten der Stille / Des Windes in den Weiden, und dem Flötenspieler in den Toren der Dämmerung." Ankommen bedeutet ja zugleich, empfangen zu werden. Heute Abend will ich mit diesem Trostgedanken in die Nacht gehen: Du brauchst keine Angst zu haben. Du wirst freundlich empfangen. Deine Tränen werden getrocknet. Und vielleicht ist da sogar jemand, der für dich eine Flöte spielt.

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