Dienstag, 24. Mai 2016

Nicht reden, gehen


Sreenshot: Peter Otten
Bob Dylan wird heute 75 Jahre alt. Sein Song "Ain´t talking" aus dem Jahr 2006 erzählt davon, nicht leichtfertig davon zu sprechen, wer oder wie Gott ist oder was Erlösung meint. Sein Text zeigt: die Sprache kommt hier an ein Ende. Nicht reden, gehen! ist sein lebenssatter Rat. Wenn sich den Menschen Hoffnung erschließt, dann nur unterwegs, mitten in einer Welt voller Schmerzen und Rätsel. Damit trifft Dylan ein modernes religiöses Empfinden. Denn "die Dinge laufen nicht so gut", wie wir manchmal meinen.

Von Peter Otten


"Ich spreche nicht, ich gehe nur / Durch diese müde Welt voll Kummer / Mein Herz brennt, immer noch sehnsüchtig / Niemand auf Erden wird je was erfassen."

Ich spreche nicht, ich gehe nur. Dieses Mantra gibt Bob Dylan dem Zuhörenden in seinem Lied "Ain´t talking" mit. Um es andererseits in jeder Strophe sofort zu widerlegen: Denn natürlich macht Dylan 18 Strophen lang nichts anderes als sprechen. Aber er spricht beim Gehen. Oder anders gesagt: Das Gehen bringt ihm zum Sprechen. Dabei zieht er den Zuhörenden in eine Welt hinein, die so fremd, abweisend und apokalyptisch ist, dass es den, der zuhört selbst zum Verstummen bringt.

"Ich spreche nicht, ich gehe nur / Durch die geheimnisvolle und diffuse Welt / Mein Herz brennt, immer noch sehnsüchtig / Ich wandere durch die Städte voller Plagen."

Die seltsam federnde Musik tut ihr übriges, um den Zuhörenden mitzunehmen. Damit ist ein auch ein modernes Prozessionslied. Es beginnt mit einem Motiv, das von Ferne an Jakobs Kampf mit Gott am Jabbok erinnern mag. Der Kampf findet im Garten Eden statt, der aber längst kein unschuldiges Paradies mehr ist.

"Als ich heut Nacht raus ging in den geheimnisvollen Garten / Baumelten die verletzten Blumen an den Reben / Als ich an jener kühlen, kristallklaren Quelle vorbeikomme / schlägt mich jemand von hinten."


Die Welt, die der Sänger inspiziert ist runtergekommen. "Das Leid ist unendlich /
Jeder Winkel, jede Ritze voll von seinen Tränen." Und der Sänger in ihr gleich mit: "Falls ich je meine Widersacher erwische, schlafend / Schlachte ich sie dort wo sie liegen." Dylan hat jedenfalls die Psalmensprache studiert, die von der Doppelbödigkeit Gottes und des Menschen berichten.


Was bleibt, ebenso wie das Mantra vom Gehen, ist das brennende, immer noch sehnsuchtsvolle Herz. Doch wie die Welt gescheitert ist, so scheitert dieses auch immerfort: "Sie sagen, ein Gebet hat die Kraft zu heilen / Dann bete wie die Mutter / Im Menschenherz kann ein teuflischer Geist wohnen / Ich versuche meinen Nächsten zu lieben und Anderen Gutes zu tun / Aber, Mutter: die Dinge laufen nicht gut." Besser kann man die Ambivalenz des Menschen nicht auf den Punkt bringen - aber auch das Misstrauen gegenüber einer Religion, einem Glauben der einfachen Antworten.

Nein, die Dinge laufen nicht gut. Die Welt, aus dem Paradies entlassen, scheint uns aufgegeben zu sein. "Esse schweineäugiges Fett in einer Schweineaugenstadt." Aber das, was diese diffuse, geheimnisvolle Welt zu geben vermag scheint schwer verdaulich. Und doch bleibt sie geheimnisvoll, bleibt in ihr ein Rest, der gerade nicht mit einfachen Rezepten und Regeln dechiffriert oder wegerklärt werden kann. Es bleibt nur, sie ein Leben lang zu durchwandern, zu durchmessen. Und mehr als die Sehnsucht, einmal aus dem Garten Eden entkommen dennoch irgendwo anzukommen bleibt nicht. Aber auch nicht weniger. Jedenfalls ist da keine Gewissheit mehr. Nicht die Welt ist der Sehnsuchtsort, sondern das Herz, dass sich nach diesem Sehnsuchtsort ausstreckt und auf eine Antwort hofft. "Eines Tages wirst du froh sein mich um dich zu haben." Wer ist dieses "du"? Der Freund? Ist es Gott, der Gärtner, der am Ende des Liedes aus dem Garten verschwunden ist? Es bleibt ungewiss. Was bleibt ist das Gehen und ein Krumen Hoffnung - jenseits der Kurve, vielleicht: "Ich spreche nicht /gehe nur / Die Straße rauf, um die Kurve / Mein Herz brennt, immer noch sehnsüchtig /Im ödesten Hinterland, am Ende der Welt."

"Eigentlich nur jenseits der Worte drückt der Dur-Akkord, mit dem der Mollsong endet, diese Hoffnung dann aus", sagt Heinrich Detering, Literaturwisseschaftler an der Universität Göttingen. "Die Musik muss das dann übernehmen, was Dylan der Sprache nicht mehr zutraut. Die Sphäre des Heils, der Erlösung, auf die sich alle Hoffnung richtet, wird nur noch aus der Negation des Gegenwärtigen gewonnen. Das ist tatsächlich negative Theologie." Damit trifft Dylan ein modernes religiöses Empfinden. Die Dinge laufen nicht einfach gut, für niemanden. Und das beim Gehen nicht einfach zu übersehen, das mag wie modernes Beten sein. Herzlichen Glückwunsch, Mr. Dylan!



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