Montag, 11. April 2016

Der Pfarrer der Welt


Screenshot: Peter Otten
Barmherzigkeit ist da wichtig, wo es keine Alternative gibt. Ansonsten wäre es auch nötig, wieder über Gerechtigkeit zu sprechen.
 

Von Peter Otten

Ich habe den Eindruck, wir müssen über die Weise, wie wir über Gott sprechen reden. Wir befinden uns im Jahr der Barmherzigkeit. Der Papst hat es gewollt, und natürlich verbirgt sich hinter seinem Anliegen eines seiner großen theologischen Themen: Gott ist barmherzig. Dieses Motiv schimmert durch alle Texte, Predigten und Ansprachen hindurch, die man derzeit von ihm lesen kann. Auch in seinem nachsynodalen Schreiben „Amoris laetitia“ ist die Barmherzigkeit wohl das zentrale Motiv. Dabei wird es zu einer Art rhetorischem Kniff: Einerseits wird die traditionelle Ehelehre in diesem Schreiben vehement verteidigt. Auch in Sachen Homosexualität wird der Stand des katholischen Katechismus wiedergegeben. Andererseits scheint der Papst die Komplexität im Zusammenleben von Menschen zu sehen. Er schreibt, dass Paare auseinandergehen, dass Menschen sich wieder verlieben – auch über Geschlechtergrenzen hinweg. Und er fordert auf, diese Einzelfälle durch die Augen der Barmherzigkeit Gottes zu betrachten. Im Einzelfall soll sich also die allgemeine Lehre nicht gegen die Lebensrealität von Menschen wenden, die doch das Gute suchen, sei sie auch irregulär. Da sei barmherziges Vorgehen vor, das sich der Papst als seelsorgerlichen Prozess zwischen Betroffenen und Amtsvertretern der Kirche vorstellt. Nebenbei bleibt am Papier irritierend, dass der sexuelle Missbrauch mit keinem Wort erwähnt, wohl aber recht ausführlich eine Anleitung zur richtigen Sexualerziehung formuliert wird (ab Kapitel 280).


Das Motiv der Barmherzigkeit birgt allerdings eine Unwucht: Es gibt immer einen, der sie herschenkt und einen, der sie empfängt. Barmherzigkeit kann - gewollt oder ungewollt - zum Paternalismus werden – und damit zu einem Herrschaftsinstrument. Ein Beispiel: „Wenn Papst Franziskus Gefängnisinsassen und Behinderten, Männern und Frauen, Christen und Nichtchristen am Gründonnerstag die Füße wäscht, begleitet von den Fotografen und Kameraleuten der vatikanischen Medien und damit unter den Augen der Weltöffentlichkeit, dann relativiert er damit nicht seine Position, er unterstreicht vielmehr seine universelle pastorale Kompetenz als „Pfarrer der Welt“, bemerkte Benjamin Leven dazu in der Herder Korrespondenz. Was für den Einsatz von symbolischen Gesten gilt, die nach Einschätzung mancher Beobachter - vermeintlich - die Hierarchie einebnen sollen, gilt wohl auch für das Modell der barmherzigen Kirche und ihrer barmherzigen Hirten. Das muss man einfach nur wissen.

So könnte das Jahr der Barmherzigkeit auch dazu anregen beispielsweise wieder über den gerechten Gott zu sprechen. Prälat Karl Jüsten hat für einen katholischen Priester in bisher zumindest öffentlich nicht gekannten Art und Weise bei der Trauerfeier für Guido Westerwelle die Partnerschaft, die Liebe zwischen diesem und Michael Mronz gewürdigt. Ins Recht gesetzt, könnte man sagen. Auch wenn bestimmte Kreise in der katholischen Kirche dies scharf kritisieren: Das war gut so. Denn diese Liebe brauchte wohl nichts weniger als barmherzige kirchliche Wertschätzung. Im Gegenteil, offensichtlich hatte sie in sich einen Wert. Sehr wohl könnte sie daher vielen Leistungsträgern in der Kirche in Demut ein Vorbild sein.

Barmherzigkeit ist da wichtig, wo es keine Alternative gibt. Das zeigen die leiblichen Werke der Barmherzigkeit: Es gibt keine Alternative dazu, einen Kranken zu pflegen. Und solidarisches Handeln angesichts des Todes, das ist vielleicht die höchste Form von Barmherzigkeit, die überhaupt vorstellbar ist. Mitleid hat kein Mensch, der dies zu tun vermag nötig. Wohl aber endlich Respekt und Augenhöhe, mithin Gerechtigkeit.

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