Sonntag, 1. Juni 2014

Jürgen Klopp der Gemeindepastoral?

Wahrscheinlich habe ich von meiner Großmutter mehr Gottvertrauen vermittelt bekommen als durch meine Theologieprofessoren. Aber manchmal bedarf die Rede von Gott etwas anderes als ein Glaubenszeugnis. Erkenntnisse nach dem Katholikentag zu pastoralen Neuaufstellungen.

Von Norbert Bauer

Keine Unterbrechung durch gut gemeinten Sacro-Pop, bemühten Kabarett oder authentischen Ausdruckstanz: einfach nur vier Männer (leider nur Männer) und ein Tisch. Auch das gab es bei dem Katholikentag. Der Dogmatiker Josef Wohlmuth, der Neutestamentler Tobias Nicklas und der Pastoraltheologe Heinz-Günther Schöttler hatten den nun in Paris lehrenden Theologen Daniel Stökl Ben Ezra eingeladen, um mit ihm über sein Buch „The Impact of Yom Kippur on Early Christianity“ zu diskutieren. Die These des Buches: bis in 5. Jahrhundert feierten auch Christen selbstverständlich Jom Kippur, ein Fest, das für die jüdische Gesellschaft in etwa die emotionale Bedeutung hatte und hat, wie das Weihnachtsfest für uns. Etwa 120 Interessierte waren zu dieser Diskussion ins jüdische Gemeindehaus gekommen. Weitere mussten wegen Überfüllung des Saales abgewiesen werden. Niemand verließ zwischendurch den Raum. Die Aufmerksamkeit war so groß, dass die Professoren irgendwann auf die Mikrofone verzichten konnten.


Alleine für diese Veranstaltung hat sich für mich die Anreise nach Regensburg gelohnt. Ich durfte dabei sein, wie Experten kurz ihre aktuellen Forschungen skizzierten und sich neugierig befragten. Ich habe vieles wieder neu gehört, z.B. dass Paulus sich trotz seiner Damaskuserfahrung sein Leben lang als Jude definiert hat, oder dass die Gruppenbezeichnungen "Juden" und "Christen" bis ins zweite Jahrhundert eher unscharf waren. Neu gelernt habe ich u.a., dass Kirchenväter wie Origines bei der Interpretation des Christusereignisses auf die Ideen von Jom Kippur zurückgegriffen haben.
Das dies nicht nur eine historische Petitesse ist, sondern vielmehr für uns wichtig sein kann, zeigte der Systematiker Wohlmuth mit seinen abschließenden Worten: das christliche Konzept von Versöhnung ist dem jüdischen ähnlicher als vielleicht bisher gedacht. Der Mensch muss Gott nicht um Versöhnung anwinseln. Sowohl Jom Kippur als auch Karfreitag/Ostern weisen auf das vorausgehendeVersöhnungsangebot Gottes hin. 90 Minuten lebendige Theologie: hoffentlich werde ich diese Gedanken bald in einer Kinderkatechese oder einem Gesprächskreis aufgreifen können.

In allen deutschen Bistümern werden zur Zeit Pastoralkonzepte entwickelt, die die priesterliche Personaldecke mit der pastoralen Landschaft übereinbringen sollen. Besonders beliebte Ware auf dem Markt der pastoralen Möglichkeiten erfährt zur Zeit die sogenannte Charismen-orientierte Pastoral, dem Experiment, hierarchische Ämterstruktur mit der Würdegleichheit katholischer Christen produktiv für die Pastoral zu verknüpfen. „Auch auf dem Horizont weltkirchlicher Lernerfahrungen verabschiedet sich die Kirche von einem Modell der Versorgung hin zu einer Kirche der Partizipation, bei der die allen gemeinsame Taufwürde und die Orientierung an den Charismen zu einer gemeinsamen Entwicklung herausfordert“, umreißt Christian Hennecke dieses neue Modell, das dem Pfarrer ein neues Rollenprofil abverlangt: „Der Dienst des sakramentalen Amtes“ zieht sich aus dem operativen Geschäft zurück, übt sich in inspirierender Leitung und befähigt ehrenamtliche Laien für die konkrete Pastoral. Auch für hauptamtliche Laien wird die Arbeitsplatzbeschreibung neu formuliert: „Facilitator, Entwickler, Trainer, Coach“ wird denn da zu lesen sein. Der Pastoralreferent als Jürgen Klopp-Imitat? Des weiteren ist öfters zu hören, dass die Pastoralteams um neue Berufsfelder ergänzt werden sollen: Ehrenamtsentwickler, Netzwerker, Fundraiserinnen etc. Gerne. Was ich aber bei allen pastoralen Neuaufstellungen vermisse: den Bedarf an Theologinnen und Theologen. Aber sind diese überhaupt noch gefragt? Denn „alle Gläubigen sind kraft dieses gemeinsamen Priestertums befähigt zum Glaubenszeugnis, zum Dienst der Nächstenliebe, zur Feier des Gottesdienstes und zur Mitwirkung am Leitungsdienst.“ Es stimmt, alle sind zum Dienst der Nächstenliebe befähigt, aber manchmal ist es notwendig, wenn zur Nächstenliebe auch eine Professionalität hinzukommt. Deswegen beschäftigt der Caritasverband z.B. Psychologen für die Eheberatung und Ökonomen für die Schuldnerberatung. Jeder und jede ist auch zum Glaubenszeugnis befähigt. Wahrscheinlich habe ich von meiner Großmutter mehr Gottvertrauen vermittelt bekommen als durch meine Theologieprofessoren. Aber manchmal bedarf die Rede von Gott etwas anderes als ein Glaubenszeugnis. Die Rede von und über Gott ist manchmal angewiesen auf die distanzierte Reflexion, auf dem Mut zum Zweifel, auf das Bewusstsein der Begrenzung. Darin sollten gerade die Frauen und Männer geübt sein, die in ihrem Theologiestudium viel über die Konstruktion (und Dekonstruktion) von Gottesbildern erfahren haben, und die vor allem durch Exegese und Dogmengeschichte gelernt haben, wie religiöse Erfahrungen immer wieder neu reflektiert werden müssen. Der Jesuit Medard Kehl schreibt vielleicht deswegen Pastoralreferentinnen und – referenten die besondere Rolle des theologischen Lehrers zu, dem „schwerpunktmäßig (nicht exklusiv) die Kompetenz und Sorge dafür zugesprochen wird, dass die verschiedenen Formen der Verkündigung theologisch auf der Höhe der Zeit sind.“ Diese Tätigkeitsbeschreibung würde auch weiterhin mir ermöglichen, mit Menschen über die Relevanz von Jom Kippur für unser Verstehen von Versöhnung nachzudenken. Auch deswegen bin ich Pastoralreferent geworden. Ansonsten hätte ich die Trainerlaufbahn eingeschlagen.

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