Freitag, 18. Mai 2012

Der Papst schreit

Foto: Peter Otten
Ob der Papst manchmal ausflippt? Ob er manchmal rumschreit? Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anmacht? Oder ob er manchmal einfach nur aus Frust schimpft, so wie ich gestern, als ich die“ Mannheimer Quadrate“ - zum wievielten Mal eigentlich - verfluchte?
Es gibt einen, der konnte sich das vorstellen. Francis Bacon heißt er, ein irischer Maler, der 1992 starb. Und ein großes Glück bei diesem Katholikentag ist, dass man eines seiner bedeutendsten Werke „Schreiender Papst“ im Mannheimer Kunstmuseum besichtigen kann. Es zeigt einen schemenhaften Mann, weiße spärliche Striche auf einem blauen unruhigen Hintergrund. Der Mann, mit den päpstlichen Insignien ausgezeichnet, sitzt auf einem Thron, eingesperrt in einem Kasten, der ebenfalls aus Strichen wie hinskizziert wirkt. Und er schreit, aus Leibeskräften.
"Die Figur hat ihren räumlichen Halt und ihren Bezug zur Umwelt verloren,“ schreibt das Kunstmuseum Mannheim dazu. „Momente, die interpretierbar sind als Verlust von Macht und Zusammenbruch etablierter Werte. Die schemenhafte Unschärfe und Deformierung in der Gestaltung von Gesicht und Figur verstärken den Eindruck der physisch wie psychischen Bedrohung und Versehrtheit.“ 

Es ist eines der stillen Geschenke, die die Stadt Mannheim für ihre Katholikentagsbesucher bereithält. Und es ist ein großes Glück, dass eine Führung zu diesem Bild auch ein Programmpunkt bei diesem Katholikentag gewesen ist. Denn in allem Gewusel dieser Tage in den Straßen und auf den Plätzen, das manch einen Besucher auch schon mal ratlos, verloren oder schlicht ermattet zurücklassen kann, verweist der Schrei dieses Mannes auf die Kernfrage auch dieses Treffens: Welcher Gott ist hier zu verkündigen? Der Schrei dieses Papstes fasst das in einer verzweifelten Geste zusammen, worauf es bei allem Nachdenken über die Aufbrüche, die dringend zu tun wären eben auch ankommt: Hier wird der Gott verkündet, der sich im Angesicht des anderen zeigt. Im Elenden, im Kind, in dem in Lumpen gekleideten Armen, wie der Jesuit Martin Maier in einem Vortrag über Oscar Romero bemerkte. Das ist sie wohl die Mitte, die manch einer zu vermissen meint, denke ich, als ich vor dem Bild stehe. Es ist schwierig, den Blick auf den schreienden Papst auszuhalten. Aber genau das ist wichtig. „Inkarnation, also das Aufscheinen Gottes in der Welt und die eigene Umkehr gelingt nur durch die Annäherung an die Welt der Armen“, sagte Oscar Romero auch. „Ein Christ ist der, der andere Menschen aufwertet, nicht abwertet“, sagte der Pastoraltheologe Martin Sellmann heute. Ich bin dankbar, wenn mir der Katholikentag an vielen Stellen zeigt, wo Gott zu finden bleibt. Auch wenn es unruhig macht. Auch wenn es unangenehm ist, weil es manchmal eben ein Schrei der Verzweiflung ist.


(veröffentlicht bei publik-forum.de)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen