Montag, 29. August 2011

Was wäre, wenn?

Was wäre, wenn man durch Glaubensverlust zum Glauben käme? Denn der Glaube ist kein Führwahrhalten eines dogmatischen Glaubenssystems, sondern eine Lebenshaltung, die sich aus sich heraus bewährt - schreibt der Religionspädagoge Hubertus Halbfas in seinem neuen Büchlein.

Foto: Peter Otten
Vermutlich schreibt Halbfas bewusst "Glaubensverlust" auf den Deckel seines neuen schmalen Bändchens. Doch reiht er sich nicht in die Prozession derer ein, die je nachdem "Glaubensverlust", "Verlust von Glaubenswissen", "Verdunstung des Glaubens" oder gar "Glaubenskrise" rufen und glauben, damit dem Kern der Krise zu treffen, der die Kirchen zweifelsohne erreicht hat. Halbfas ist hingegen der Ansicht, im Glaubensverlust, also im Fahrenlassen des institutionell abgesicherten dogmatisierten "Fürwahrhaltens" bestehe gerade die Chance, Gott zu finden.
Den Beginn dieser Entwicklung sieht Halbfas bereits in der paulinischen Theologie: "An die Stelle der Reich-Gottes-Botschaft Jesu tritt die Verkündigung des Gekreuzigten und Auferstandenen. (...) Paulus erklärt "die Auferstehung Jesu" zum grundlegenden Ereignis, das seine gesamte Theologie trägt: Durch Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferweckten, kommt alles Heil, verstanden als Teilhabe am ewigen Leben, das den Menschen durch den Sühnetod Jesu erschlossen wurde. Das ist aber ein ganz anderer Inhalt, als Jesus ihn vertrat. (...) War Jesu Evangelium noch uneingeschränkte Freudenbotschaft, so kommt nun ein drohender Unterton auf, der später immer noch weiter anschwillt. Wer aber "Glaubensgehorsam"  fordert, setzt zugleich auf Kontrolle - und befördert damit eine Entwicklung, die jede Abweichung mit sich steigernden Strafen verfolgt. Dieser Geist steckt bereits in den letzten Jahrzehnten der neutestamentlichen Schriften und artikuliert sich in zunehmender Emotionalität." (S.21ff.)

Halbfas hingegen ist der Meinung: "Das Evangelium Jesu bietet für solche Lehrstreitigkeiten keinen Ansatz. Es ist im eigentlichen Sinne auch keine Lehre, sondern ein Lebensmodus, der nicht argumentativ bewiesen werden muss, weil er seine Überzeugungskraft aus sich selbst besitzt." (S. 23) Nach Paulus aber habe "das Interpretieren, Räsonieren, Verpflichten und Verketzern kein Ende" genommen, so Halbfas: "Aus dieser starken Fixierung auf die Doktrin ist die Leidenschaftlichkeit zu verstehen, mit der die dogmatischen Streitigkeiten seit dem 2. Jahrhundert geführt wurden. Die vernichtende Polemik, die unerhört scharfen Aggressionen, die Verweigerung von Einigung und Versöhnung, die rücksichtslosen Mittel im Umgang mit dem "Gegner" zeigen, wie einseitig nun das Wesen des Christentums im Dogma gesehen wurde, zu dessen Gunsten andere christliche Postulate missachtet wurden. (...) Die antike Gesellschaft hatte wegen ihres sehr anderen undogmatischen Religionsverständnisses solche Glaubensstreitigkeiten nicht gekannt. Erst das Christentum hat sie durch sein zentrales Interesse an der Glaubensformel verursacht." (S. 23f.)

Was wäre also, wenn der Glaube keine Lehre, sondern ein Habitus, eine Haltung gegenüber dem Leben wäre?  Halbfas lädt dazu ein, den historischen Jesus mit seiner Reich-Gottes-Botschaft, der im Glaubensbekenntnis der Kirche nicht mehr vorkomme und dort "ein Loch" hinterlassen habe, wiederzuentdecken. Dann werde deutlich, dass Jesus kein Glaubenssystem gelehrt habe, sondern eine "Lebensweise, die nicht bewiesen, sondern gelebt werden will." Theologie ist für ihn schlicht Anthropologie: "Wie bei Amos, Micha, Jesaja findet sich der Gottesglaube Jesu in die Lebensumstände des Menschen eingebunden. Der Mitmensch wird zum "Ort Gottes." (S. 60)

Und dabei ist für Halbfas das Entscheidende, dass die Gottesbotschaft Jesu egalitär ist, Konfessionen und Stände überwunden werden. In jedem Menschen zeigt sich Gott: "Aus der Sicht Jesu gibt es keine Kategorie, die im Voraus bestimmt, wer dem anderen der Nächste ist, weder Gesetz noch Brauchtum, weder Sprach-, Kultur- oder Volkszugehörigkeit." (S. 60) "Wer dein Nächster ist, wird nicht durch deine Geburt bestimmt, durch deine Lebenslage, durch die Sprache, die du sprichst, sondern durch dich selbst. Du kannst diesen anderen Menschen annehmen, der kulturell außerhalb deiner Verpflichtungen steht (...). Zu ihm kannst du die höchste Form der Bezüglichkeit herstellen", zitiert er Ivan Illich mit dem Blick auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter.

Was wäre also, wenn der Glaube fortan eine Haltung wäre und kein Lehrgebäude? Was wäre, wenn uns im Wohlstandsmüll oder im spanischen Protestierer Gott entgegenblickte? Der Gedanke daran ist provokant, frisch und inspirierend wie Halbfas´ Büchlein. Auf einmal wäre vieles so, ja - leicht. Unbedingt lesen.

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